Die Sinnkrise

In dem Augenblick, in dem ein Mensch den Sinn und den Wert des Lebens bezweifelt, ist er krank.
Sigmund Freud

„Jetzt weiss ich wieder, warum ich lebe!“ Das hat mir eine freiwillig mitarbeitende Person nach einer sehr intensiven Woche müde, aber glücklich gesagt. Da nimmt jemand eine Woche Ferien um sich ehrenamtlich (ohne jegliche Bezahlung) für 60 Kinder engagieren zu können. Und statt sich danach einen ruhigen Sonntag zu gönnen, hilft diese Person (und viele weitere freiwillig Mitarbeitende) ein riesiges Fest für hunderte von Leuten durchzuführen.

Warum macht man sowas? Warum engagiert man sich freiwillig? Die Antwort liest sich aus dem eingangs erwähnten Resüme der mitarbeitenden Person: Es ist sinnstiftend und gibt einem eine tiefere Bedeutung im Leben.

Das ist wunderbar und als Leiter einer gemeinnützigen Arbeit bin ich auf viele solche motivierte Freiwillige angewiesen. Auf der anderen Seite beschäftigt es mich als Coach, wenn dieselbe Person erzählt, dass genau diese Sinnhaftigkeit auf der Arbeitsstelle längst verloren gegangen ist. Wenn jemand nach einer solchen Woche wieder weiss, warum er lebt, heisst das wohl eben auch, dass dem Alltagsleben oftmals der Sinn fehlt.

Burnout-Falle Sinnkrise

Burnout-Experten weisen darauf hin, dass oftmals nicht das Zuviel an Arbeit in den Zustand des Ausgebranntseins führt, sondern das Fehlen der Sinnhaftigkeit. Ich durfte letzte Woche erleben, wie ein Mitarbeiter nach dem anderen aufblühte, obwohl sie sich alle mächtig ins Zeug legten und sich keiner über zu wenig Arbeit beklagen konnte. Etliche haben sogar mit Ferientagen dafür „bezahlt“, dass sie sich freiwillig engagieren durften.

Natürlich, es war ein vergleichsweise kurzes Projekt und eine willkommene Abwechslung zum Alltag. Trotzdem ist es ein schönes Praxisbeispiel dafür, dass Arbeit, die Sinn stiftend erlebt wird, einen beflügelt. Und das trifft mit Bestimmtheit nicht nur auf die Freiwilligenarbeit zu, sondern gilt genauso in der bezahlten Arbeit. Die beste und nachhaltigste Motivation ist intrinsisch und hat mit Sinnhaftigkeit zu tun, nicht mit der höhe der Entlohnung oder den Sozialleistungen.

Roy Hitchman, Berater und Headhunter, glaubt denn auch, „dass nicht die Menge an Arbeit per se, sondern die mangelnde Sinnhaftigkeit und Qualität dieser Arbeit Stress und damit Burnouts und Erschöpfung hervorrufen.“ (NZZ am Sonntag vom 5. Januar 2014)

Eigentlich deutet das Wort Burnout diesen Zusammenhang ja schon an: Wenn wir nach dem „Burn“ fragen, geht es darum, für was ich brenne, wo meine Leidenschaft berührt wird, wo ich Sinn erlebe. Und wenn dieses „Burn“ dann verloren geht („out“), hab ich entweder meine Leidenschaft überstrapaziert oder sie ist mir unterwegs abhanden gekommen.

Wohlverstanden, ich sehe da zwei Burnout-Gefahren: Wenn uns die Sinnhaftigkeit unserer Tätigkeit so deutlich bewusst ist, dass wir lauter Dringlichkeit den Weg des gesunden Lebensrhythmus verlassen und non-stop arbeiten, kann es nicht gut kommen. Auf der anderen Seite ist eben Arbeit ohne Sinn schon viel früher eine Burnout-Gefahr, weil der innere Antrieb (intrinsische Motivation) fehlt.

Dieser Artikel erschien am 24. Oktober 2014 unter dem Titel Freiwilligkeit schafft Leidenschaft  als Carte Blanche im Bieler Tagblatt.

WEITERFÜHRENDE ANGEBOTE

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den Lebensbereich “Arbeit“.

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