Multitasking im Kinderzimmer

Nichts gegen Abwechslung, aber wenn sich die Projekte jagen
und man für jedes Kind schon eine eigene Agenda braucht,
muss man sich nicht wundern, wenn bereits Kinder über Stress klagen
– ein Wort, das früher infarktgefährdeten Managern vorbehalten war.

David Signer in „Profis im Multitasking“ (NZZ am Sonntag, 1. Juli 2012)

„Was hab ihr gespielt?“ fragen wir unseren Sohn, als er von seinem Kindergartenkameraden nach Hause kommt. Die Antwort überrascht und irritiert uns: „Die haben gar keine Spielsachen!“ Auf unsere Folgefrage: „Tja, aber was habt ihr denn den ganzen Nachmittag gemacht?“ hören wir Stichworte wie iPad, Fernseher oder iPhone.

So oder ähnlich haben wir es in den letzten Monaten gleich mehrmals erlebt. Und wir staunten nicht schlecht, als wir das grosse TV-Gerät in einem dieser Kinderzimmer sahen. Braucht ein Kindergartenkind tatsächlich sein eigenes, „zimmerfüllendes“ Fernsehgerät?

Das, aus unserer Sicht für die soziale Entwicklung förderliche und wichtige, Abmachen und gemeinsame Spielen verkommt zu einem gemeinsamen Medienkonsum. Teilen wir unsere Beobachtungen und Bedenken mit den Kindergartenlehrpersonen, erzählen diese von ganz ähnlichen Erfahrungen: Viele Kinder sind unfähig, sich zum Beispiel mit Rollenspielen zu beschäftigen.

Im bemerkenswerten Artikel Profis im Multitasking (NZZ am Sonntag, 1. Juli 2012) wirft David Signer die Frage auf, ob die ganze ADHS-Thematik weniger ein Krankheitsbild als ein Spiegel unserer „fahrigen, zerstreuten, nervösen“ Gesellschaft ist. Und er gibt zu bedenken: „Manchmal wünscht man den Kindern gelegentlich die gute, alte Langeweile zurück. Entstehen nicht neue, krative Ideen oft aus der Leere?“

Wie fördern wir die Kreativität und das Sozialverhalten unserer Kinder?

Diese Leere, in der man sich selber etwas einfallen lassen muss, erreicht man weder durch Spielzeug überfüllte Kinderzimmer noch mit Mini-Mediamarkt-Kinderzimmern. Für die Eltern mag es ja ganz bequem sein, wenn das einzige Spielgerät der Kinder ein iPad ist. (Ich denke schon nur an die nie enden wollende Aufräumaktionen mit unseren Kindern.) Ja, mit dem iPad, iPhone und all diesen „i“s lässt sich ganz gut Ordnung halten und die Kleider werden auch nicht schmutzig… Aber fördern diese Medien wirklich das, was wir in unseren Kindern fördern möchten?

Natürlich, ich sehe viele Vorteile in diesen neuen Medien. Aber meine Kinder brauchen in der Unterstufe noch keine dieser „i“s – obwohl, mit dem iPod hat sich unsere Tochter kürzlich schon mal angefreundet. Ich wünsche mir, dass meine Kinder eine gesunde Medienkompetenz entwickeln können. Und da gilt es, kritisch hinzuschauen und zum Beispiel Studien ernstzunehmen, die besagen, dass die Einsamkeit durch Sozialenetzwerke wie Facebook grösser und nicht etwa kleiner geworden ist. Es gehört auch dazu, dass ich als Vater mein eigenes Medienverhalten kritisch reflektiere. Denn: „Kinder imitieren früh“, schreibt David Signer in besagtem Artikel.

Aufmerksamkeit und Achtsamkeit

Leider hat Signer auch mit folgendem Satz völlig recht: „Wir sind kaum mehr einmal voll und ganz da, wo wir eigentlich sind.“ In meinem diesjährigen PEP (persönlicher Entwicklungsplan) hab ich mir genau das vorgenommen: Wenn ich daheim bin, will ich auch emotional anwesend sein. Ich will vermehrt im Hier sein – ohne schon an die nächsten To-Do’s zu denken, ohne alle paar Minuten die E-Mails zu checken, ohne die interessanten, öden oder witzigen Statusmeldungen meiner FB-Freunde zu durchforschen… Hier sein – in der Familie, bei meinen Kindern, bei meiner Frau.

Durch unseren Multitasking-Lebensstil gehen alte Tugenden wie Aufmerksamkeit und Achtsamkeit verloren. Doch das „Bei-sich-selbst-Sein“ und dadurch achtsam auf sich selbst und dem Nächsten gegenüber sein zu können, bringt eine Lebensqualität, die in keinster Weise durch eine noch so tolle Facebook-Statusmeldung herbeigeführt werden kann.

Als Eltern sind wir stärker gefordert, wenn wir unseren Kindern mehr als Unterhaltung bieten wollen: Ich schnüre derzeit fast jeden Tag meine Turnschuhe und spiele Fussball mit meinem Sohn (und oft ist auch mein Vater dabei; das wirkt jetzt schon fast kitschig, aber ist ein solches Drei-Generationen-Fussballspiel nicht eine tolle Sache?). Für meine Frau heisst es immer mal wieder, den Aufwand nicht zu scheuen und mit den Kindern etwas zu basteln – auch wenn unsere Wohnung dann eher einem kreativen Schlachtfeld als einem modernen „iRoom“ gleicht…

 

Da ich während den nächsten Wochen im Sinne dieses Artikels ganz Familienferien machen will, werde ich den nächsten Blogartikel erst im August veröffentlichen…

 

Mein Blogbeitrag dieser Woche dreht sich um den LebensbereichLiebe“.

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